2023 teilt sie sich einen Titel mit der nahe gelegenen Stadt Bergamo:
"Italienische Kulturhauptstadt". Aber nicht nur deswegen ist Brescia, die zweitgrößte
Stadt der Lombardei, definitiv einen Besuch wert...
Sagen wir es so: Bei meinem ersten Besuch in den 90ern war es nicht die ganz große Liebe, die ich für Brescia empfand. Vielleicht lag es an der Industriezone rund um die Stadt, die man als erstes wahrnimmt, wenn man sich durch die Peripherie Richtung Zentrum bewegt, vielleicht aber auch daran, dass Brescia damals die letzte Stadt auf unserem Roadtrip durch das Veneto und die Lombardei war. Mit Bassano del Grappa, Padua, Vicenza, Verona, Mantua und Cremona lagen bereits zahlreiche beeindruckende, wunderschöne Städte hinter uns, wir hatten viel gesehen, viel gestaunt und unsere Kulturspeicher waren schon etwas voll. Und Brescia war die letzte Station dieser Reise, bevor es dann an den Gardasee weiterging, um nach viel Kultur endlich im tiefblauen Lago abzutauchen. Höchste Zeit der Stadt eine zweite Chance zu geben, befanden wir also bei einem Lago di Garda-Aufenthalt im Jahr 2013. Und: Um ehrlich zu sein: Ich erkannte die Stadt fast nicht wieder, sie hatte sich eindeutig gemausert, die 200.000 Einwohner:innen-Stadt, die auch Hauptstadt der Provinz Brescia ist und zwischen Voralpen und Po-Ebene liegt, nur rund 30 Autominuten von Desenzano del Garda entfernt.
Wir deponieren das Auto auf einem Parkplatz am Rand der Altstadt und lassen uns erstmal nur treiben. Einfach mal einen ersten Eindruck gewinnen von der Stadt, die auch den Beinamen „Löwin Italiens“ hat, der seinen Ursprung im erfolgreichen Widerstand der Stadt im Jahr 1849 gegen die Habsburger und für die Freiheit Italiens hatte.
Fünf historische Plätze reihen sich im Altstadtzentrum aneinander, dazwischen ein hübsches Gassengewirr, breite Laubengänge, vor sich hin sprudelnde Brunnen und weil Freitag ist, ist auch relativ viel los. Wobei, die Tourist:innen haben diese Stadt noch nicht übernommen, war damals unser Eindruck. Hübsche Geschäfte, viele Lokale, die gut besucht sind, es ist eine lebendige Kleinstadt, in die wir da eintauchen. Dazwischen unzählige Radfahrer:innen, die sich klingelnd ihren Weg durch die Gassen bahnen. Wir laufen den Corso Mameli entlang, den Corso Palestro und auch den Corso Zanardelli mit seinen noblen Geschäften, der mir aufgrund seiner malerischen Arkadengänge besonders gut gefällt. Wir laufen an schönen Villen in üppigen Gärten vorbei und lugen neugierig durch die Gartenzäune hinein. Was wir sehen gefällt uns: eine lebendige, bunte, lebensfrohe Stadt.
Und dann sind wir bereit für den bunten Mix an Sehenswürdigkeiten, den Brescia seinen Besucher:innen bietet: Von römischen Tempeln über mittelalterlich anmutende Gässchen und barocke Üppigkeit bis hin zu klassizistischen Prunkbauten, wie z. B. dem Neuen Dom. Dazwischen leider auch brutale, faschistische Architekur, die ihre Spuren in dieser Stadt hinterlassen hat. Einst ein mittelalterlich und barock geprägter Platz in der Altstadt, wurde die Piazza della Vittoria Anfang der 30er Jahre in einen faschistischen „Musterplatz“ umgewandelt. Handwerker und Arbeiter, die zuvor hier lebten, wurden damals kurzum enteignet, ihre Häuser geschliffen und faschistische Architektur errichtet. Optisch beherrscht wird der L-förmige Platz vom Torrione INA di Marcello Piacentini (benannt nach dem Architekten und Stadtplaner Marcello Piacentini). 15 Stockwerke und fast 60 Meter zählt das massige Gebäude und ist angeblich der erste Wolkenkratzer, der in Italien errichtet wurde. Rein architektonisch mögen Platz und Gebäude interessant sein, beim Gedanken an diese dunkle Zeit läuft es einem dennoch kalt den Rücken hinunter.
Egal von wo man in die Altstadt hineinschlendert, man landet unweigerlich auf der schönen Piazza della Loggia. Ein wenig fühlt man sich an Venedig erinnert auf diesem Platz, nur auf die auch hier umtriebigen Tauben könnte man gut verzichten. 1433 wurde der Platz, der von der prachtvollen, im Renaissance-Stil errichteten Loggia dominiert wird, eröffnet. Die Venezianer wollten mit diesem neuen Regierungszentrum einen Kontrapunkt zum mittelalterlichen Domplatz setzen. Seine Hände im Spiel hatte bei diesem üppig verzierten Gebäude (das 1570 fertiggestellt wurde) übrigens einer, der nicht nur in der Lombardei für seine Baukunst berühmt war: Andrea Palladio, bedeutendster Architekt der Renaissance in Oberitalien.
Nicht zu übersehen, auf der anderen Seite der Piazza della Loggia, der Uhrenturm, oberhalb des Säulenganges, mit einer aus dem 16. Jahrhundert stammenden astronomischen Uhr. Seit 1581 und bis heute werden die Stunden von den beiden Statuen an der Spitze des Turms geschlagen, den so genannten "i Macc dè lé ure ("Die Verrückten der Stunden").
Wer den Durchgang unter dem Uhrenturm nimmt, der kommt an einem Mahnmal vorbei, das an die Opfer eines Anschlags der Roten Brigaden erinnert. Im Mai 1974 waren dabei mehrere Menschen zu Tode gekommen.
Auch an ihnen kommt man eigentlich nicht vorbei: an den östlich der Piazza della Loggia gelegenen steinernen Überbleibseln der römischen Stadt Brixia. Der Tempio Capitolino an der Via dei Musei wurde unter Kaiser Vespasian von 73 bis 74 n. Chr. an der Nordseite des dahinter liegenden Forums erbaut und gilt heute als der größte erhalten gebliebene Tempel im nördlichen Italien. Auf die Überreste des Tempels war man 1823 gestoßen, seine Fassade wurde mit Ziegelwerk teilweise rekonstruiert. Das Gelände ist heute öffentlich zugänglich und ein Besuch ist durchaus empfehlenswert: Ursprüngliche Marmorböden gibt es in den ebenfalls rekonstruierten "cellae" dreier Tempel genauso zu sehen wie Altare oder das, was von Statuen bis heute noch übrig geblieben ist. Das Teatro Romano, das einst an die 15.000 Besucher:innen fasste und das man lange Zeit nicht besichtigen konnte, ist seit 2014 zugänglich.
Ein Highlight der Stadt, das man auf keinen Fall verpassen sollte, ist die Piazza Paolo VI (die ehemalige Piazza del Duomo): Hier steht der Duomo Nuovo (Neuer Dom) aus dem 18. Jahrhundert gleich neben dem Duomo Vecchio (Alter Dom), der im 11. bzw. 12. Jahrhundert errichtet worden war. Während mein Mann sich nur für den Alten Dom begeistert, kann ich dem neuen durchaus auch etwas abgewinnen: Dessen hohe Kuppel und auch seine massive, schöne klassizistische Kalkstein-Fassade beeindrucken mich, auch wenn diese Kirche neben dem Alten Dom zugegebenermaßen etwas deplatziert wirkt. Überrascht bin ich, als ich nachlese, dass hier ursprünglich drei romanische Monumentalbauten gestanden hatten: Die sogenannte „Sommerkathedrale“ wurde im 17. Jahrhundert jedoch abgerissen, an ihrer Stelle ab 1604 der Neue Dom errichtet, dessen Bau allerdings erst 1825 fertiggestellt wurde. Aber vorerst strecken wir mal nur unsere Beine aus, am Tischchen einer Bar auf der Piazza Duomo, wo sich ein Cafè ans nächste reiht – und lassen diese beiden Bauten und den daneben errichteten romanischen Broletto auf uns wirken...
Die Hauptkirche von Brescia, der Neue Dom, wurde ab 1604 an Stelle der frühchristlichen Basilika San Pietro errichtet. Aufgrund der langen Bauzeit von 230 Jahren ist das Ergebnis ein Mix von Barock und Klassizismus - begonnen wurden die Bauarbeiten im Barock, beendet im Klassizismus. Und dennoch, mir gefällt diese Kirche, vielleicht gerade deshalb. Besonders sehenswert im Inneren: der Hauptaltar mit Maria Himmelfahrt des Giacomo Zoboli. Was mich besonders in den Bann zieht: Die Kuppel, die ihrer Größe nach die drittgrößte Italiens ist und dieses ganz spezielle bläulich-weiße Licht, das sich durch die ganze Kirche zieht und das wohl durch diie Stuckarbeiten und den weißen Marmor begründet ist.
Müsste man sich für einen der beiden Dome entscheiden, dann wäre natürlich der Alte Dom, früher „Winterkathedrale“ genannt, der klare Gewinner in diesem Rennen um Bedeutung und Schönheit. Denn mit seiner ungewöhnlichen Rundform, für die die Grabeskirche in Jerusalem Modell stand, fasziniert er natürlich ganz besonders. Auf unseren Reisen durch Italien haben wir bereits unzählige Kirchenbauten besichtigt, der Alte Dom von Brescia schafft es nun aber bei unserem persönlichen Ranking auf Anhieb auf die vordersten Ränge eindrucksvoller romanischer Kirchenbauwerke – und das nicht nur auf die Lombardei bezogen. Unbedingt ansehen sollte man sich die schönen gotischen Bischofsgräber im Innenraum, allen voran das Grab des Bischofs Bernardi Maggi aus dem 13. Jahrhundert. Besonders schön auch Altargemälde von Künstlern aus Brescia sowie Überreste des Mosaikbodens einer römischen Thermalanlage, die es hier mal gab. Vor allem aber sollte man einfach die Atmosphäre dieser so außergewöhnlichen Kirche auf sich wirken lassen, bevor man sich wieder in das Getümmel der Stadt begibt.
Auch an der Westseite des Domplatzes befindet sich ein Gebäude, das man nicht außen vor lassen sollte: Der Broletto, der Regierungspalast der mittelalterlichen Stadtrepublik und das älteste öffentliche Gebäude der Stadt, errichtet im 12. bzw. 13. Jahrhundert. Der Palazzo mit seinem breiten, schönen Innenhof und seinem im Norden gelegenen Laubengang aus dem 17. Jahrhundert ist jedenfalls einen Besichtigungs-Abstecher wert.
Und dann wartet noch ein Highlight auf uns: Der Klosterkomplex Santa Giulia (Monastero di Santa Giulia) mit seinem hochkarätigen Museum. Noch einmal schlendern wir die Via dei Musei entlang, in der schon etwas milderen Abendhitze. Seit 2011 gehört Santa Giulia gemeinsam mit den archäologischen Ausgrabungen des Capitoliums, das nur wenige Schritte entfernt liegt, zum UNESCO-Weltkulturerbe. (In welches übrigens insgesamt gleich elf Gebäude in Brescia aufgenommen wurden.)
In dem mittelalterlichen Klosterkomplex mit mehreren Kreuzgängen und gleich drei wunderschön freskierten Kirchen kommen wir dann aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Ob mich die langobardische Basilika San Salvatore, die romanische Kirche Santa Maria in Solaria oder die Renaissancekirche Santa Giulia mehr beeindruckt hat? Allesamt beeindruckend, aber die Siegerin steht unbestritten fest: Die Kirche Santa Maria in Solario, denn diese Sternenhimmel-Kuppel lässt einen schlichtweg sprachlos zurück.
Es ist eine einzige Schatzkammer und wohl eines der bedeutendsten historischen Museen Norditaliens (Stadtmuseum Santa Giulia): Die Geschichte Brescias lernt man hier mittels tausenden Stücken aus allen Epochen der Geschichte kennen, von den prähistorischen Anfängen bis ins 18. Jahrhundert. Besonders schön finde ich die langobardischen Stücke wie z.B. ein mit Edelsteinen besetztes Kreuz, das angeblich dem Langobardenkönig Desiderius (Ende des 8. Jahrhunderts n. Chr.) gehört haben und das er dem Kloster Santa Giulia geschenkt haben soll. Überhaupt, wer sich für langobardische Kunst interessiert, wird begeistert sein und hier leicht einige Stunden verbringen. Man sollte also schon ein wenig Zeit im Gepäck haben, denn es zahlt sich aus ausgiebig zwischen Kirchen, Häusern und Gärten herum zu schlendern. Bodenmosaike, Wandmalereien und Fresken entdeckt man hier genauso wie z. B. komplette römische Wohnungen.
Dieses Mal hatten wir leider nicht genug Zeit, um noch mehr von Brescia kennenzulernen. Für das nächste Mal hätte ich auf jeden Fall die Pinacoteca Tosio Martinengo mit Werken von Raffael, Antonio Canova oder Vincenzo Foppa auf dem Zettel. Und ebenfalls ansehen würde ich mir beim nächsten Stopp in Brescia wohl auch das Castello, das auf dem Cidneo-Hügel liegt und so etwas wie das heimliche Wahrzeichen der Stadt ist. Der Blick von dort oben auf die Stadt soll, besonders bei Sonnenuntergang, ganz besonders schön sein.
Übrigens: Brescia ist die kleinste Stadt Europas mit einer U-Bahn. Und zwar mit einer Linie, 15 Stationen von Süd bis Nord, eröffnet im Jahr 2013.
Aber jetzt erst mal Ciao, Brescia! Schön, dass das mit uns beiden schließlich doch noch eine Liebesgeschichte geworden ist...
Brescia teilt sich mit dem nahen Bergamo den Titel "Italienische Kulturhauptstädte 2023". Und warum Bergamo, eine kleine Schönheit im Hinterland und Schatten von Mailand, unbedingt einen Besuch wert ist, das lässt sich hier nachlesen.
Unbeauftragte, unbezahlte Werbung. Die Reise erfolgte auf eigene Kosten.
gut schlafen
Es wäre wohl mein Hotel-Favorit in Brescia – zwar nicht ganz zentral gelegen, aber dafür stylish und originell: das Areadocks Boutique Hotel.