Bevor sich die ersten zähen Novembernebel in die Stadt schleichen, ist es höchste Zeit sich in
Richtung Süden aufzumachen, um noch einmal kurz Sonne und Wärme zu genießen. Vielleicht ist es auch
nur eine Ausrede, um wieder ins geliebte Italien reisen zu können – aber: eine gute.
Also dann, raus aus Wien, drüber über den Wechsel und die Pack und hinunter ins Kanaltal.
Und dann immer weiter Richtung Veneto, genauer gesagt: Lusiana.
"Bei Kehre Nr. 17 seht ihr einen Glockenturm, genau gegenüber liegt unser La Scuola Guesthouse, nach dieser Kehre müsst ihr scharf links abbiegen – ecco", schreibt uns Gastgeberin Valeria in ihrem Email. In der November-Dunkelheit, die uns am frühen Abend bereits fest im Griff hat, gar nicht so einfach, die richtige Kehre auszumachen. Aber dann sehen wir ihn, den Glockenturm und auch die scharfe Linkskurve gelingt. Schön dass ihr da seid, sagt Valeria und zeigt uns unser Zimmer. Hübsch ist es hier, im La Scuola Guesthouse, das Valeria und ihr Mann liebevoll restauriert und ausgestattet haben, ganz im Stil einer alten Dorfschule – denn genau in einer solchen befindet sich das Guesthouse auch: Scuola Communale di Lusiana.
Am nächsten Morgen nehmen wir bei Tageslicht genauer unter die Lupe, wo wir denn da gelandet sind – die Sonne tastet sich durch die Vorhänge ins Zimmer, auf mit den Fensterläden… und ja, wir mögen, was wir da sehen. Sehr.
Asiago: Auf einer sonnengeküssten Hochebene
Unser erstes Ziel nach einem köstlichen und ausgiebigen Frühstück, das Valeria persönlich für ihre Gäste zubereitet: Asiago, das nur rund 20 Autominuten entfernt liegt. Wir fahren über eine kurvige, landschaftlich abwechslungreiche Straße durch dichte, bunt gefärbte Wälder und vorbei an hübschen Almen bergauf, bis sich die Straße durch Wälder wieder hinab windet. Und dann sind wir auch schon in Asiago: Die kleine Stadt hat nicht nur den bekannten und sehr guten Asiago-Hartkäse zu bieten, sondern auch eine kompakte, hübsche kleine Altstadt. Im Winter ist Asiago eine beliebte Gegend für Wintersportler, kein Wunder bei der günstigen Lage auf einem sonnigen Plateau, umgeben von Bergen. Wir lassen uns durch die Gassen der Altstadt treiben, besuchen den Dom (Duomo di San Matteo), der von außen unspektakulär wirkt, aber innen mit schönen Details überrascht. Apropos: Wer Fan von Adriano Celentano ist, braucht vielleicht nur ein wenig Glück um ihm hier über den Weg zu laufen – denn der bekannte Sänger hat sich in Asiago niedergelassen.
Im ersten Weltkrieg verlief die italienisch-österreichische Front mitten durch die Hochebene rund um Asiago, die Stadt wurde fast völlig zerstört. In der Umgebung der Stadt liegen einige italienische und österreichisch-ungarische Sperranlagen, sie waren vor allem in der ersten Hälfte des Krieges schwer umkämpft. Etwas außerhalb des Ortszentrums, auf dem Hügel „Leiten“, wurde eine Weltkriegs-Gedenkstätte mit einem Beinhaus errichtet. Ziemlich mächtig liegt der wuchtige Bau auf dieser Erhebung und wir machen uns auf den Weg dorthin, leicht bergauf auf der von Bäumen gesäumten breiten Straße, der sogenannten „Allee der Helden“. Die Sonne scheint, die Umgebung ist idyllisch, aber dennoch hat dieser Ort etwas Beklemmendes, je näher man ihm kommt. Mehr als 54.000 Soldaten verschiedenster Nationen ruhen hier auf rund 1.600 Quadratmetern, in diesem Block aus Beton und Marmor. Man geht die Gänge im Inneren entlang, an den Wänden die Namen der Toten eingraviert, es ist bedrückend. Irgendwie kann man nicht den Blick davon abwenden. Das ist das Resultat von Krieg, tausende und abertausende Menschen, die sinnlos gestorben sind und man kommt nicht umhin an all die kriegerischen Konflikte zu denken, die heute die Welt in Atem halten. Wir lesen die Namen, die in ein metallenes Gedenkbuch eingraviert sind, wenden Seite um Seite, so viele Namen, so viele Geschichten dahinter. Ein kleines Museum zeigt anhand von Fotografien, Dokumenten, Waffen und Ausrüstungsgegenständen eine Dokumentation des Ersten Weltkriegs. Ich sehe mir die Fotos an, aber viele sind kaum auszuhalten. Wir sind froh, als wir wieder die Sonne auf unseren Gesichtern spüren, den Hügel hinunter gehen und das Mahnmal hinter uns lassen.
Am Fuße des Hügels setzen wir uns schließlich auf die Terrasse der „Wunderbar“ und lassen uns von der Sonne wärmen. Wunderbar.
Neuer Tag, neue Destination: Wir peilen die Villa Emo in Fanzolo di Vedelago (Provinz Treviso) an. Über malerische Bergstraßen geht es von Lusiana hinunter nach Bassano del Grappa und dann weiter Richtung Fanzolo di Vedelago. Es sind nur rund 50 Autokilometer, wir nähern uns unserem Ziel über die Landstraße, durchqueren zahllose kleine Dörfer, die Landschaft wird immer ebener und nach einer Stunde haben wir unser Ziel dann erreicht. Hinter einem prächtigen großen Tor liegt hier die Villa Emo, die Mitte des 16. Jahrhunderts von Andrea Palladio, dem bedeutendsten Architekt der Renaissance in Oberitalien, im Auftrag einer venezianischen Familie errichtet wurde. Rund um die Villa erstreckt sich ein weitläufiger Garten mit zahlreichen Statuen und schöner Bepflanzung. Vorbei an großen Töpfen mit Zitronen, die ob des milden Klimas auch um diese Jahreszeit immer noch üppig gedeihen, nähern wir uns der Villa, die fast klassizistisch anmutet. Rechts und links der Villa schließen flache Wirtschaftsgebäude an, am Ende des Gebäudes befinden sich zwei Taubenhäuser. Sie sind einerseits ein architektonisch akzentuierter Abschluss des gesamten Gebäudes, hatten aber auch einen ganz praktischen Nutzen: Denn die Tauben wurden von den venezianischen Gutsherren nicht nur zur Bereicherung ihres Speiseplans gehalten, sondern auch für den Briefverkehr mit Venedig.
Im Inneren sind die Räumlichkeiten im ersten Stock, dem piano nobile, zu besichtigen (ohne Führung): Sie sind mit beeindruckenden Fresken ausgemalt, von Giovanni Battista Zelotti, einem italienischen Renaissance-Maler. Er war einer der bekanntesten und berühmtesten Freskenmaler, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts auf dem venezianischen Festland tätig waren. Herkules, Venus und Adonis, Neptun und Cybele, Jupiter und Juno, sie alle haben hier ihren Auftritt, wie auch der in der Wüste büßende Hieronymus. Besonders beeindruckend ist der Saal der Künste, wo Musik, Skulptur, Architektur, Astronomie, Poesie und Malerei in Form weiblicher Gestalten dargestellt sind. Man sollte sich Zeit nehmen hier einfach stehen zu bleiben und die Geschichten auf sich wirken lassen...
Asolo: Ein unvergleichlicher Ausblick auf das Veneto
Und dann geht es weiter nach Asolo, denn mit dieser Stadt haben wir noch eine Rechnung offen: Vor Jahren waren wir hier, ebenfalls Ende Oktober und es regnete in Strömen, unaufhörlich. Wir konnten der kleinen Stadt, in der u. a. die bekannte Schauspielerin Eleonora Giulia Amalia Duse ihren Wohnsitz hatte und nach ihrem Tod auch beerdigt wurde, damals nicht so recht viel abgewinnen und deren Schönheit hinter Regenwänden und Nebelschwaden nur erahnen. Ein guter Grund hier noch einmal her zu kommen und dieses Mal präsentierte sich die kleine Stadt, die so malerisch am Hang eines Hügels liegt, von ihrer besten Seite.
Und was für ein Ausblick sich uns bot, vom Castello della Regina, auf die sanfte Hügellandschaft rund um die Stadt, die in sanftes, milchiges Herbst-Sonnenlicht getaucht war. Jetzt konnten wir auch Robert Brownings Aussage verstehen, denn der englische Dramatiker hat einst geschrieben: "Ich versichere, mit der Kenntnis der schönsten Panoramen Italiens und anderer Länder, ich kenne nichts, das sich mit dem Blick vergleichen kann, den man vom Turm und vom Palast der Königin genießt." Die Königin war übrigens die venezianische Adelige Caterina Cornaro, die 1489 mit dem König von Zypern verheiratet wurde. So sollte die Vorherrschaft Venedigs im Mittelmeer gesichert werden. Nach der Ermordung des Königs musste sie jedoch die Krone abtreten und erhielt als Ausgleich dafür Asolo. Hier residierte sie nun also mit ihrem Hofstaat, im Castello della Regina. Und von eben hier hat man einen berauschenden Ausblick auf die Umgebung... "Stadt der hundert Horizonte", wird Asolo auch genannt, und wir wissen jetzt warum. Vom Castello della Regina ist jedoch leider nicht mehr allzuviel erhalten, das Kastell wurde 1820 zum größten Teil abgetragen. Der Torre dell`Orologio und die Sala delle Udienze blieben jedoch erhalten.
Aber Asolo hat noch einiges mehr zu bieten als nur einen sensationellen Ausblick: ein intaktes Ortsbild, zwei Kastelle, Villen, schön renovierte Bürgerhäuser und Patrizierpaläste aus dem Mittelalter. Es macht Spaß, durch diese Stadt zu schlendern, besonders, wenn sich das herbstliche Nachmittagslicht so warm auf die Fassaden der Häuser legt.
Einen Besuch wert ist der Dom Santa Maria Assunta, der auf den Fundamenten einer römischen Thermenanlage steht: Das Innere wurde zwar im 19. und 20. Jahrhundert verändert, aber die Franziskus-Tafel an der linken Wand ist von einem venezianischen Meister, vermutlich Bartolomeo Vivarini. Das bedeutendste Kunstwert im Dom ist die "Himmelfahrt Mariae" von Lorenzo Lotto – besonders interessant: Maria wird hier, im Gegensatz zu den meisten anderen Marien-Darstellungen, als alternde Frau gezeigt. Wir spazieren am Museo Civico vorbei und bewundern die Fresken an der Schmalseite, die aus dem Jahr 1560 stammen. Das Museum beherbergt prähistorische und römische Fundstücke sowie viele Gemälde, aber auch Erinnerungsstücke an berühmte Bewohner Asolos: Caterina Cornaro, Schriftsteller Robert Browning und die Schauspielerin Eleonora Duse, die ein Haus an der Via Canova (Nr. 306) bewohnt hatte. (Das Haus ist an dem Bogen, der über die Straße reicht, zu erkennen.) Duse war eine der meistgefeierten Schauspielerinnen ihrer Zeit und sorgte mit ihrer Liasion mit dem italienischen Dichter und Schriftsteller Gabriele D`Annunzio für viel Gerede.
Nicht zu übersehen ist die Villa Scotti Pasini, mit ihren hängenden Gärten, die am Hang der Festung liegt: In dieser Villa hatte hatte Robert Browning gewohnt. Ein Aufstieg zur Rocca lohnt auf jeden Fall: Denn wer hier hinauf steigt, wird mit einem Ausblick auf den Monte Grappa, auf Possagno und sogar bis auf Bassano del Grappa belohnt. Die Festung selbst kann allerdings nicht besucht werden.
Damals waren wir vor dem Regen in das Caffè Centrale geflohen, um uns aufzuwärmen, heute finden wir einen Platz auf der Terrasse unter der gestreiften Markise und genießen erste Reihe fußfrei den Ausblick auf das Treiben auf dem zentralen Platz und einen guten Kaffee. Das Centrale ist Bar, Treffpunkt und Institution. Der perfekte Ort, um unseren Besuch in Asolo ausklingen zu lassen...
Als wir Asolo dann verlassen, glüht vor uns ein wunderbarer Sonnenuntergang. Quasi die Draufgabe. Und insgeheim machen wir da einen Deal mit der Stadt: Du reißt dich beim nächsten Besuch wettertechnisch wieder so zusammen wie heute und wir kommen bald wieder...
Zurück geht es dann über kleine Landstraßen und die Hügel nach Lusiana und der Herbst im Veneto bietet dafür die denkbar schönste Bühne...
Hier geht es weiter zu Teil 2 der Reportage: Bassano del Grappa.