Von der südlichen Toskana ins südliche Umbrien, das ist nur ein Katzensprung.
Und ein Stopover am Lago di Bolsena geht sich auch noch aus. Von Alleen, Olivenhainen
und stolzen Bergstädtchen. Eine Liebeserklärung.
28 Grad am Morgen, es macht Sinn früh los zu fahren. Wir trennen uns von unserem kleinen Häuschen, das wir eine für eine Woche in der Maremma gemietet hatten und fahren los. Noch sind wir mutig und lassen die Autofenster bis zum Anschlag hinunter. „Piove, senti come piove…“, sing für uns, Lorenzo (Jovanotti), Regen, ach wie schön wäre das jetzt… Nach zehn Tagen mit schweißtreibenden 43 Grad im Schatten in der Maremma geben wir uns dem Tagtraum von kühlem, prasselndem Regen hin. „Piove, senti come piove“ – hörst du auch den Regen? Auf einer Wiese scharen sich Schafe unter einem Baum zusammen, kein Zentimeter des Schattens bleibt ungenützt. Wir fahren Alleen entlang, hohe Stämme, dichte Baumkronen. Endlos lange Alleen. Italienische Alleen, die ich so gerne mag. Am liebsten würde ich an deren Ende umdrehen und noch einmal entlangfahren.
Komm, lass uns am Lago di Bolsena, den wir gerade passieren, anhalten, und uns etwas abkühlen. Ein frommer Wunsch, denn obwohl der Bolsenasee, der im Latium, nur 90 Kilometer entfernt von Rom liegt, an seinen tiefsten Stellen bis zu 150 Meter tief ist, kann auch er in diesem Sommer nicht wirklich Abkühlung bieten, zumindest nicht an den Uferrändern. Egal, nass ist er und besser als 43 Grad ist es allemal. An diesen heißen Tagen kann man fast nicht erkennen, wo der See endet und der Horizont beginnt. Helle Blautöne in allen Schattierungen, vor Hitze flirrendes Licht. Alles ist träge hier, die Menschen, die Luft, der See, der sich nicht regt.
43 km Umfang hat der See, rund 114 km² Fläche. Sein Wasser füllt einen Krater, der vor geschätzt 300.000 Jahren nach starken Vulkanausbrüchen entstanden ist. Gespeist wird der Bolsenasee nur von Regen- und Grundwasser, der einzige Abfluss ist der Fluss Marta, der den See am Südufer verlässt und in das Tyrrhenische Meer mündet. Und obwohl es rein rechnerisch über 100 Jahre dauern würde, bis der See sein Wasser ausgetauscht hat, ist die Wasserqualität sehr gut. Sonnenliege im Schatten, ein Gelato am Strandbadkiosk holen, Sonnenliege, See, Sonnenliege. Ein Kreislauf, der heute durch nichts unterbrochen wird.
Es geht weiter, vorbei an der Papststadt Orvieto nach Todi. Denn nur wenige Kilometer entfernt von dem kleinen Städtchen auf dem Hügel liegt unsere neue Bleibe für die nächsten 96 Stunden: das Landgut Casarciccia, liebevoll restauriert und ausgestattet. Von hier aus unternehmen wir in den nächsten Tagen unsere Ausflüge: Nach Montefalco, Spoleto und Todi und zu einigem zwischendrin.
The early bird catches the worm, vor allem aber entkommt er ein wenig der großen Hitze, die sich stetig und träge hält. Wir starten am nächsten Tag in Montefalco, das einzigartig auf einer Bergkuppe liegt und oft auch die ringhiera dell`Umbria (Aussichtsterrasse Umbriens) genannt wird: Kurz vor 9 Uhr morgens stehen wir bereits vor dem Museo di San Francesco in der profanierten, gut erhaltenen Kirche San Francesco, seit 1895 Sitz der städtischen Kunstsammlung. Sehenswert ist die Kirche selbst, um 1340 erbaut, mit ihren Seitenkapellen mit schönen Fresken; besonders sticht die Seitenkapelle, die von Benozzo Gozzoli um 1452 ausgemalt wurde und dem Hl. Hieronymus geweiht ist. Unbedingt einen Besuch wert ist auch die Pinakothek im Obergeschoss des angrenzenden Gebäudes: Die Werke, die hier gezeigt werden, stammen zumeist aus Kirchen und Klöstern Montefalcos und Umgebung und einmal mehr wird klar, welch große Menge an Kunstschätzen Umbrien zu bieten hat.
Die Hitze hat die Stadt bereits fest im Griff, aber es lockt trotzdem ein Spaziergang vorbei am Palazzo Communale und der offenen Loggia zur großen Piazza. Bei klarem Wetter hat man vom Turm aus einen fantastischen Ausblick auf die Valle Umbra, an diesem Tag aber ist es definitiv zu diesig. Es ist eine hübsche Piazza, gesäumt von Teatro Clitunno, dem Oratorium Maria di Piazza mit einem Fresko von Melanzio, sowie den Palazzi Senili und De Cuppis. Heute ist sie offensichtlich auch Treffpunkt für eine gemeinsame Vespa-Ausfahrt von Anwohnern aus der Umgebung: Ein Modell ist schöner als das andere, am liebsten würde ich mich unter die TeilnehmerInnen mischen und damit eine Runde über die Piazza drehen. Oder auch zwei oder drei oder vier Runden… Wunschträume.
Wie überall in Umbrien gibt es auch in Montefalco zahlreiche Kirchen, uns gefällt die Chiesa Santa Chiara besonders, die der heiligen Klara von Montefalco geweiht ist. Besonders sehenswert ist die Cappella Santa Croce (links vom Altar zugänglich), mit sehr volkstümlich anmutenden und ausdrucksstarken Fresken. Wir wollen noch mehr – mehr Kirchen, mehr Fresken, aber vorerst vor allem ein wenig Schatten und dringend ein kühles Getränk in einem der Cafés am Corso Mamelli.
Am Weg nach Spoleto liegen Kirche und Konvent San Fortunato: etwas abgeschieden, hinter Olivenhainen. Wir sind die einzigen, die es hierher verschlagen hat, die Grillen zirpen laut, ansonsten ist es still, fast ein wenig verwunschen. Der Konvent wurde dem 390 verstorbenen hl. Fortunatus geweiht, der in der Gegend von Montefalco das Christentum eingeführt hatte; bereits 422 soll hier eine erste Kirche errichtet worden sein, 1442 wurde ein Konventsgebäude erbaut. Die Cappella delle Rose wurde im 15. Jahrhundert errichtet und 1512 von Tiberio d´Assisi mit Fresken bemalt: Dargestellt ist die Geschichte des Ablasses von Assisi. Fresken finden sich auch im Inneren der einschiffigen, gewölbten Kirche sowie ein beeindruckender römischer Sarkophag.
Jetzt sind wir so richtig auf den Geschmack gekommen: Wir peilen die Abbazia di San Felice an, die unser Kunstreiseführer als besonders besuchenswert empfiehlt. Die Kirche befindet sich rund 2,5 km nördlich von Giano dell`Umbria und soll ein bedeutendes Zeugnis romanischer Baukunst sein. Aber erst gilt es den Weg dorthin zu finden, irgendwie haben wir das Gefühl jegliche Zivilisation hinter uns zu lassen: über kleine Straßen, gesäumt von endlosen Olivenhainen, geht es immer weiter einen Berg hinauf, um ihn, fast am Scheitelpunkt angekommen, wieder hinab zu fahren. Meinst du wir sind hier noch richtig? Unser Navi hat längst w.o. gegeben, aber wir fahren weiter, halten dann an, steigen aus, gehen ein wenig durch die Olivenhaine, in denen das Licht irgendwie so anders zu sein scheint, fiebrig, flimmernd, es scheint sich in sich selbst aufzulösen. Wir stehen da und hören nur lautes Grillenzirpen. Und trotzdem ist es so still hier, so friedlich. Das sind die Momente, die man gerne einfrieren würde. Wir fahren weiter und dann sehen wir sie, die Abbazia: Ein mächtiger Steinklotz mit einem verhältnismäßig kleinen Kirchentor. Wir sind alleine hier und irgendwie passt das auch, an diesem Ort, den die Welt irgendwie vergessen zu haben scheint. Klingt vielleicht ein wenig pathetisch, fühlt sich aber so an in diesem Moment.
Kirchen wie die Abbazia di San Felice sieht man nicht allzu oft: Entstanden unter lombardischen Einfluss im frühen 12. Jahrhundert, geweiht dem hl. Felix, Bischof von Massa, der das Martyrium unter Diokletian und Maximinian erlitt. 306 soll Felix an dieser Stelle ein Oratorium gegründet haben, das schließlich seine Grabstätte wurde. Seit dem 8. oder 9. Jahrhundert war die Abtei ein Benediktinerkloster, 1815 wurde es der Kongregation Missionari del Preziosissimo Sangue übertragen. Es ist eine beeindruckende und für viele auch ungewöhnlich anmutende Kirche, die man durch das kleine Tor betritt: Denn das Presbyterium ist beträchtlich höher gelegen, man gelangt dorthin über eine Treppe; der einfache Altar ist noch der ursprüngliche. Es ist eine beeindruckende Kirche, wir setzen uns und lassen den romanischen Bau – und die kühlen Temperaturen – auf uns wirken.
Spoleto, in das sich übrigens schon Hermann Hesse verliebt hatte, erobert mein Herz schon, bevor ich noch den ersten Schritt in die Stadt gesetzt habe: Über eine mehrstufige Rolltreppe werden die BesucherInnen bequem in die Oberstadt befördert. Tja, Bruthitze, da wurdest du mal überlistet! Kurz nach Mittag und die hübsche, gut erhaltene Altstadt ist wie ausgestorben, alle scheinen sich verständlicher Weise in ihre Wohnungen hinter dicken kühlen Mauern zurückgezogen zu haben. Also erst mal ein Eis und was für eines: Haselnuss (können nicht nur die im Piemont perfekt) und Zitrone… mhhhmm (Gelateria Yogurteria Primavera, Piazza del Mercato, 7).
Und jetzt ab zum Dom Santa Maria Assunta: Ihm nähern wir uns über die Via Fontesecca und dann über Stiegen bergab, die wie eine mächtige Freitreppe anmuten. Am Domplatz angekommen bietet sich uns ein lustiges Bild: In allen schattigen Ecken, die der Platz bietet, kauern Touristen und warten, so wie wir, dass die Dom-Türen geöffnet werden. Punkt halb vier, als sich die Dom-Türen dann tatsächlich quietschend öffnen, lösen sie die Menschen aus allen Himmelsrichtungen des Platzes und strömen gleichzeitig auf den Dom zu. Was für ein Theater! Dass wir im Dom, der nach der Zerstörung des Vorgängerbaus durch Kaiser Barbarossa seit ca. 1175 neu errichtet wurde, dann fast eine Stunde bleiben, ist nicht (nur) den mittlerweile fast 44 Grad im Freien geschuldet: Es gibt wahnsinnig viel zu sehen. Der wunderschöne alte Fußboden mit Mosaik-Einlegearbeiten, die Kapelle des Bischofs Constantino Eroli mit ihren Fresken, die Cappella dell`Assunta mit beeindruckenden Gewölbefresken, die wunderschönen Fresken der Apsis, und und und… Mein absolutes Highlight sind die prachtvollen Fresken des Malermönchs Filippo Lippi im Chor, auf denen Verkündigung Geburt Christi, Marientod und -krönung dargestellt werden.
Danach muss noch ein Abstecher in die romanische Kirche Sant`Eufemia sein, die eine spannende Geschichte hat: Jahrhundertelang war sie in einen Palastflügel eingebaut und wurde erst im Zuge einer Restaurierung von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckt und wieder freigelegt. Wie schön, dass sie seitdem wieder zugänglich ist. Besonders schön sind zwei Fresken (die hl. Lucia, der die Kirche lange geweiht war, an einem Pfeiler und ein weiteres Fresko einer Märtyrerin an einem anderen Pfeiler) sowie der Altar aus dem 13. Jahrhundert, der mit Kosmatenarbeiten und Reliefs verziert ist. Romanik-Fans kommen in Spoleto definitiv auf ihre Kosten: Auf sie warten u.a. die Kirchen San Pietro, San Gregorio, San Ponziano. Die älteste Kirche in Spoleto ist San Salvatore, Teile des Bauwerks stammen aus dem 4. oder 5. Jahrhundert.
Und dann lassen wir uns einfach ein wenig treiben, ohne bestimmten Plan, schlendern durch die kleinen Gassen, die sich nun wieder gefüllt haben, sitzen in einem kleinen Straßencafé, beobachten… Was ich jetzt weiß: Es war nicht nur die Rolltreppe, die mein Herz hier erobert hat. Aber jetzt geht es mal zurück nach Casarciccia. Ab in den erfrischenden Pool, splish, splash…
Weiter nach Todi geht es hier...
Unbeauftragter, unbezahlter Blog-Beitrag.
destination
UMBRIEN (ital. Umbria) liegt in Mittelitalien zwischen der Toskana, Latium und den Marken – und ist damit die einzige Region Italiens, die weder an ein Nachbarland noch an das Meer angrenzt. Oft als das „grüne Herz Italiens“ bezeichnet, bietet diese Region aber nicht nur schöne Landschaften (fast drei Viertel Umbriens bestehen aus Hügellandschaft, der Rest wird von Gebirgen dominiert), sondern auch reichlich Kultur in zahlreichen Kleinstädten – Perugia, die Hauptstadt Umbriens, und Terni sind mit rund 160.000 bzw. 110.000 EinwohnerInnen die Ausreißer, die meisten anderen haben kaum mehr als 30.000 EinwohnerInnen.
Gut aufgehoben sind hier alle, die sich für Natur wie Kultur gleichermaßen interessieren: Unbedingt besuchen sollte man neben der Hauptstadt Perugia das bekannte Assisi und das Bergstädtchen Gubbio, auch Gualdo Tadino an der Grenze zu den Marken ist sehenswert. Wer mehr Zeit mitbringt, der sollte auch die südlich gelegeneren Städte Foligno, Montefalco, Todi, Spoleto und Terni sowie die ehemalige Papststadt Orvieto und den Geburtstort des hl. Benedikt, Norcia, besuchen. Aber nicht nur die Städte, auch die Landschaft, mit ihren berühmten sanften grünen Hügeln und den Bergen des Apennin, macht Umbriens Reiz aus: Landschaftlich besonders schön ist die Gegend rund um den Lago Trasimeno sowie den Lago di Piediluco, glücklich werden Natur-Liebhaber vermutlich auch in den Bergregionen Umbriens, z. B. den Monti Sibilini. Und wer darüber hinaus noch Zeit hat, der wird abseits der üblichen Routen so manches unbekanntes Kloster oder Städtchen entdecken…
Mein Fazit: Umbrien ist zwar mittlerweile auch gut besucht, aber noch weit unbekannter als die große Schwester Toskana. Mit 120 Kilometern von Norden nach Süden und maximal 100 Kilometern von Westen nach Osten, ist Umbrien eine übersichtliche Reiseregion – mindestens 10 Tage Zeit sollte man aber im Gepäck haben, will man sie gründlich erkunden.
gut schlafen
Herrlich schlafen auf dem liebevoll restaurierten Landgut Casarciccia, in der Nähe von Todi: Mit großzügigem Pool und noch großzügigerer Gartenanlage. Abends mit einem Glas Wein der Sonne zuschauen, wie sie hinter den sanften, umbrischen Hügeln verschwindet, das kann was...
gut essen & trinken
Wer in TODI gut und regional essen will, ist hier bestens aufgehoben:
Enoteca Oberdan, mit kleiner Terrasse und wunderschönem Ausblick: https://de-de.facebook.com/enotecaoberdan/
Il Ristorante Pane & Vino: www.panevinotodi.com/
Gut essen in SPOLETO:
Locanda della Signoria: locanda-della-signoria.thefork.rest/
Lesetipp
Für alle Kultur-Interessierten der richtige Begleiter:
"Umbrien. Städte, Kirchen und Klöster im grünen Herzen Italiens: Assisi, Perugia, Orvieto, Gubbio, Todi"
Dumont Kunst-Reiseführer (Klaus Zimmermanns)