Sorano und Sovana haben wir bereits besichtigt, mit Pitigliano schließen wir nun
das Dreieck der schönsten Tuffsteinstädtchen in der Maremma. Und auch beim zweiten Besuch nach
ein paar Jahren Pause stelle ich fest: Pitigliano ist und bleibt einfach mein Liebling…
Woran das genau liegt, das weiß ich eigentlich auch nicht so genau… Aber ich mag dieses ebenfalls mittelalterlich geprägte Städtchen, das fast zur Gänze autofrei ist, einfach. Waren wir das erste Mal Mitte der 2000er Jahre nur zu zweit hier, so haben wir dieses Mal Familie im Gepäck – und meine kleine Nichte läuft uns begeistert voraus. Für sie ist das alles hier ein riesiges Abenteuer: Schmale Gassen, die alle erkundet werden müssen, Schaufenster, in denen zum Teil skurrile Waren lagern und an denen sie sich förmlich die Nase platt drückt, jede Menge schlafende Katzen, alte Damen – auf Stühlen vor ihren Haustoren sitzend –, die unserer Kleinen begeistert „Ciao, piccola mia…“ entgegen schleudern. (Worauf sich meine Nichte erschreckt ob so viel Begeisterung hinter meinen Beinen versteckt.) Vielleicht sehe ich Pitigliano dieses Mal auch ein wenig mit neuen Augen, aus der Perspektive meiner Nichte, wenn ich mich zu ihr hockerl und sie fragt: „Tanti, und was ist das?“.
Aber fangen wir doch von ganz vorne an: Ziemlich majestätisch liegt Pitigliano da auf einem 300 Meter hohen Tuffsteinfelsen, inmitten eines engen Tales, an den Flüssen Lente und Meleta, mit einer wirklich beeindruckenden Skyline. Wenn man die Stadt so sieht, dann ahnt man noch nicht wo sich die ihre Eingänge befinden und kurz drängt sich die Idee auf, dass es eigentlich Leitern bräuchte, um sie zu erklimmen. Und ja, irgendwie hat man auch das Gefühl, als ob der Felsen und die Häuser eigentlich eins seien, als ob die Häuser direkt aus dem Stein wachsen würden. Den allerbesten Blick auf diese Skyline hat man übrigens von der kleinen Kirche Madonna delle Grazie aus, die an der Straße Richtung Manciano liegt. Ziemlich beeindruckend ist dieser Anblick wohl auch nachts, aber dafür müsste ich dann noch ein drittes Mal zurückkehren.
Einst nutzten die Etrusker den Stadtfels als Nekropole und es wundert einen nicht, dass der Zahn der Zeit irgendwann auch an ihm zu nagen begann. Ende der 90er Jahre wurde er dann mit mächtigen Stahlklammern gesichert.
Wie auch Sorano befand sich auch Pitigliano im frühen 13. Jahrhundert im Besitz des Adelsgeschlechts der Aldobrandeschi. Dann ging es in den Besitz anderer bekannter italienischer Adelsfamilien über: Ende des 13. Jahrhunderts an die Orsini, Anfang des 17. Jahrhunderts dann an die berühmten Medici. Letztere gliederten Pitigliano in das Großherzogtum Toskana ein; im 19. Jahrhundert, im Zuge des Risorgimento, wurde die Stadt dann Teil des Königreichs Italien.
Wir betreten Pitigliano an der zentralen Piazza della Republicca mit ihrem schönen Brunnen Fontana delle Sette Cannelle, der aus dem Jahr 1545 stammt. Dominiert wird die Piazza vom mächtigen Palazzo Orsini, bis heute Sitz des Bischofs. Einst wurde er von den Orsini als Verteidigungsanlage errichtet und, über die Jahrhunderte hinweg, auch immer wieder erweitert. Heute befinden sich darin ein Museum für religiöse Kunst (Diözesanmuseum) sowie das städtische archäologische Museum.
Bei dem beeindruckenden Aquädukt, das übrigens auch den Brunnen Fontana delle Sette Cannelle speist, hatten hingegen die Medici ihre Hände im Spiel: Mit dessen Errichtung wurde Mitte des 16. Jahrhunderts begonnen, vollendet wurde das Bauwerk aber erst im 17. Jahrhundert unter den Medici.
Blickt man auf die Geschichte der Stadt zurück, so wird klar, dass sie weitreichender als andere Orte in der Maremma von der jüdischen Bevölkerung mitgeprägt wurde, die in Pitigliano im 16. Jahrhundert eine Zufluchtsstätte vor Verfolgung und Vertreibung gefunden hatte. (Wer mehr zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung Pitiglianos als auch anderer toskanischer Städte erfahren möchte, findet hier einige Informationen dazu.)
Im Rahmen einer sehr interessanten und informativen Führung durch das jüdische Ghetto Pitiglianos konnten wir u. a. das Museum (Vicolo Manin, Museo di Cultura ebraica) besuchen. Weiters kann man bei dieser Führung die Synagoge, die 1598 erbaut wurde, besichtigen: Sie war in den 1960er Jahren teilweise durch einen abgestürzten Tuffsteinfelsen beschädigt worden, wurde in den 90er Jahren aber restauriert und kann seit 1995 wieder besucht werden. Darüber hinaus zu sehen im Rahmen der Führung: Das Ritualbad (Mikwe), ein Keller, eine koschere Schlachterei, ein Ofen, in dem ungesäuertes Brot gebacken wurde, sowie eine Färberei.
Einen wunderbaren Ausblick auf die Umgebung hat man übrigens von der kleinen Terrasse neben der Synagoge.
Wenn man genug Zeit im Gepäck hat lohnt es sich sehr, sich einfach treiben zu lassen durch das autofreie Gassengewirr. Es ist eine kleine Zeitreise, auf die man sich da begibt, zwischen den mittelalterlichen kleinen Häusern, die aus Tuffstein der Region gebaut wurden, nun liebevoll mit Blumen und Pflanzen geschmückt. Immer wieder stehen Sessel vor den Türen, die Bewohner:innen haben sich um die Mittagszeit aber hinter den dicken Mauern ins Kühle zurückgezogen. Was man gar nicht glauben würde, wenn man sich so durch Pitigliano bewegt: Hier leben heute immerhin rund 3.000 Menschen.
"Schau mal, Tanti, schon wieder eine Katze", ruft meine Nichte und ja, wir treffen während unseres Spaziergangs durch die Altstadtgässchen auf viele Katzen. Auf viele müde Katzen, die da teilweise wie hingegossen liegen auf Treppen. Auch ihnen setzt die Hitze um die Mittagszeit offensichtlich ein wenig zu. Da ist eine ausgiebige Siesta wohl genau das richtige...
Auch zwei schöne katholische Kirchen hat Pitigliano zu bieten: Von der spätbarocken Fassade der Kathedrale Santi Pietro e Paolo darf man sich nicht täuschen lassen, errichtet wurde sie bereits im Mittelalter. Weithin zu sehen ist ihr Campanile, der, einst als Geschlechterturm errichtet, zum Kirchturm umgebaut worden war. Einen Besuch wert ist auch die Kirche San Rocco: Sie ist die älteste Kirche der Stadt, wurde sie doch schon 1274 urkundlich erwähnt. Besonders schön das Steinrelief aus dem 12. Jahrhundert an der äußeren Nordwand.
Zum Schluss noch ein kulinarischer Tipp: Etwas versteckt liegt das Restaurant La Corte del Ceccottino, wo wir auf eine Pasta und ein kühles Glas Wein einkehren. Sehr freundliches Service, sehr kinderfreundlich, wirklich gutes Essen – Empfehlung! Auch in Sachen Übernachtung wird man hier übrigens fündig: Im dazugehörigen Le Camere Del Ceccottino wohnt man in liebevoll und geschmackvoll eingerichteten Zimmern hinter Mauern aus dem 17. Jahrhundert, ruhig und mitten im Altstadtzentrum.
Auch noch gut zu wissen: Interessantes findet sich auch rund um Pitigliano: die sogenannten Vie Cave, uralte Hohlwege aus der Zeit der Etrusker, die vor über 3000 Jahren in die Felsen gehauen wurden. Beeindruckend: So manche Via Cave kann schon mal bis zu 20 Meter tief sein. Was genau der Sinn dieser historischen Straßen war, ist bis heute nicht ganz geklärt. Möglicherweise dienten sie als Verbindungs- bzw. Versorgungswege, es könnte sich aber auch um mystische Kultstätten gehandelt haben. So oder so gibt es viele schöne Wanderrouten, die durch diese Vie Cave führen.
Wir gönnen uns einen Strandtag - und zwar an den Stränden des Monte Argentario: Hier findet man italienisches Strandleben wie aus dem Bilderbuch.
Hier geht es zu Teil 1 der Maremma-Reisereportage und damit nach Grossetto und Massa Marittima, zu den Etrusker-Gräbern in Vetulonia und ans Meer bei Castiglione della Pescaia.
Nach Sorano und Sovana und zu den Thermalquellen von Saturnia geht es in Teil 2 der Maremma-Reportage: Von Tuffstein-Städten und heißen Quellen.