Ein ganz großer Geheimtipp ist diese in den 1930er Jahren für eine Industriellenfamilie errichtete Villa
irgendwie nicht mehr, automatisch auf der Liste hat man sie bei einem Mailand-Besuch aber trotzdem nicht. Sollte man aber, denn sie ist ein absolutes Highlight – für Architektur-, Design- wie auch Filmbegeisterte – und der Abstecher in das elegante, ruhige Wohnviertel rund um die Via Mozart ist mehr als lohnenswert...
Wo fängt man an zu erzählen, wenn ein Traum in Erfüllung gegangen ist? Am besten ganz am Anfang, und da steht ein Film. Viele kennen ihn, den wunderbaren Film „I am love“ („Io sono amore“) von Luca Guadagnino aus dem Jahr 2009. In der Hauptrolle: die großartige Tilda Swinton. Handlung wie Setting haben mich damals gleichermaßen fasziniert. Die einzelnen Kameraeinstellungen: Wie Fotografien, sorgfältig kuratiert. Ich gebe zu, es blieb nicht bei einem Mal, ich habe mir den Film, der zum Gutteil in einer eleganten Mailänder Villa spielt, immer wieder angesehen. Und immer wieder Details entdeckt, die ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Ich bin den Darsteller:innen durch diese großartige Villa gefolgt, bin in Gedanken wie die Protagonist:innen des Films über den knirschenden Schnee vom Portierhäuschen zum geradezu einschüchternden Entrée der Villa geschritten, bin am Fenster gestanden und habe auf den Pool geblickt...
Schnitt! Und dann sehe ich Fotos einer Villa im facebook-Feed einer Freundin, die gerade in Mailand unterwegs ist. Mein Gehirn beginnt zu rattern: Dieses Entrée, diese herrschaftliche Treppe, diese außergewöhnlichen Schiebe-Türen aus Metall – all das kenne ich. Aber woher bloß? Und dann macht es Klick: Das ist die Villa, in der „I am love“ spielt, in der Tilda Swinton mit dem makellosen und stilsicheren Look einer wohlhabenden italienischen Industriellen-Gattin über die Treppe ins Erdgeschoss eilt. Zur Sicherheit noch schnell gegoogelt, und ja, ecco qua, das ist die Villa Necchi Campiglio im Stadtzentrum von Mailand, in der Via Mozart 14, und in den 30er Jahren von der Industriellen-Familie Necchi Campiglio, die durch die Herstellung von Nähmaschinen und emaillierten Haushaltswaren zu Reichtum gekommen war, errichtet. Und damit steht es fest: Diese Villa steht fix auf der Besichtigungsliste meines nächsten Mailand-Besuchs, sie muss ich sehen, unter allen Umständen. Drei Wochen später stehe ich im großzügigen Garten mit Pool und schaue ungläubig hinüber auf die Villa: Das ist sie also, seltsam vertraut, und dennoch bin ich höchst gespannt, was mich im Inneren erwartet. Heute ist die Villa übrigens im Besitz des FAI – Fondo per l´Ambiente Italiano, der italienischen Denkmal- und Umweltschutzstiftung.
Rationalismus mit einem Schuss Jugendstil, so könnte man die Villa beschreiben. Entworfen wurde sie vom Architekten Piero Portaluppi (der u. a. auch am Wiederaufbau der Pinacoteca di Brera in Mailand beteiligt war), in den Jahren 1932-35. Aus seiner Feder stammte so ziemlich alles, von den Türgriffen bis zu den Fensterrahmen. Fast ehrfürchtig steige ich die paar Treppen hinauf zur Vorhalle, jemand öffnet uns die gläserne Tür, begrüßt uns freundlich. Und ja, da sind plötzlich ein wenig Bedenken, dass meine Faszination für diese Villa verfliegt, sobald ich sie tatsächlich betreten habe.
Aber nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir wandern staunend durch die Räumlichkeiten im Erdgeschoss; von der mit Nussbaum- und Palisanderholz getäfelten Vorhalle geht es in die Bibliothek mit anschließendem Wintergarten, der das üppige Grün des parkähnlichen Gartens in das Haus hinein holt, und in den geschickt unterteilten Wohnzimmer-Salon. Auf der anderen Seite des Erdgeschosses dann das Speisezimmer, in dem im Film „I am love“ die Familienessen in irisierendem Kerzenlicht und mit unterschwellig lauernden Familienkonflikten stattfinden. Hinter dem Esszimmer betreten wir den Raum mit dem sorgfältig in Kästen aufbewahrten kostbaren Geschirr, und wenn man die Augen schließt, kann man sich für einen kurzen Moment vorstellen, wie die Hausangestellten hier damals diskret durch die Räume geeilt sind, das kostbare, leicht klirrende Porzellan und Kristallglas geschickt auf Tabletts balancierend. Irgendwie kann ich es immer noch nicht glauben, dass ich hier bin, inmitten des Filmsets, und ja, irgendwie habe ich auch permanent das Gefühl, dass Tilda Swinton im nächsten Moment durch die Türe kommen könnte. Aber sie tut es natürlich nicht, leider.
Auch das Obergeschoss der Villa erkunden wir, es geht hinauf über eine großzügige Holztreppe, zu den Zimmern der ehemaligen Hausherren und den Gästezimmern sowie den beeindruckenden Badezimmern. So gut erhalten und vollständig ausgestattet sind die Räume, dass man manchmal das Gefühl hat ein Zimmer zu betreten, das der Hausherr oder die Hausherrin gerade eben verlassen hat. Diesen Eindruck vermitteln auch Kleider, Schuhe, Taschen, Pelze und vieles mehr, das noch so aufbewahrt ist, als wären ihre Besitzerinnen immer noch im Haus.
Schiebetüren, ein Personen-Aufzug, ein Speisenaufzug, elektrische Rollläden, eine Gegensprechanlage für das Hauspersonal, ein beheizbarer Pool (damals der erste seiner Art in Mailand) – den Besitzer:innen mangelte es damals nicht am notwendigen Kleingeld, um diese Villa so modern und bequem wie möglich gestalten zu lassen.
Allzu lange lebten die Besitzer:innen allerdings nicht in der Villa, denn während des 2. Weltkriegs verließen sie Mailand und zogen sich in ihr Haus in der Nähe von Varese im Nordwesten der Lombardei zurück. Dunkle Zeiten zogen in der Via Mozart 14 auf, die Villa mutierte zur Kommandozentrale des faschistischen Ministers Alessandro Pavolini. Von den Briten besetzt, Sitz des Konsuls der Niederlade in Mailand – es dauerte einige Jahre, nämlich bis zu den 50er Jahren, bis die Besitzer:innen wieder in ihre Villa zurückkehren konnten. Bevor das letzte Familienmitglied der Familie Necchi Campiglio, Gigina Necchi, starb, vererbte sie das Haus dem FAI – Fondo per l`Ambiente Italiano. Und dann schloss sich der Kreis in der Geschichte der Villa noch einmal: Der Architekt Piero Castellini, ein Enkel des ursprünglichen Architekten der Villa, Piero Portaluppi, erhielt den Auftrag, das Gebäude zu restaurieren.
Wir drehen noch eine weitere, zweite Runde im Erdgeschoss: Ich stehe vor der schönen Metall-Tür, die im Film so bedeutungsschwanger von einer Hausangestellten geöffnet wird, stehe noch einmal im lichtdurchfluteten Wintergarten und lasse meine Augen durch die großzügig dimensionierten Fenster hinaus in den Garten wandern, wandere noch einmal durch den Wohnsalon. Irgendwie möchte ich alles in mir aufsaugen und kann mich kaum losreißen von diesem Haus, das einen solchen Zauber auf mich ausübt.
Später spazieren wir noch hinter dem Pool durch den von duftenden Glyzinien gesäumten Wandelgang und setzen uns unter die großen Bäume im Café, das es nun auch auf dem parkähnlichen Gelände gibt. Die Eiswürfel klirren leise in unseren Gläsern, das Brummen der Kaffeemaschine an der Theke holt mich aus meinen Gedanken. Das war es also, mein Mailänder Highlight, und es wird schwierig sein, das noch zu toppen. Und dann lerne ich noch etwas: Nicht nur „I am love“ wurde hier gedreht, sondern auch der Film „Der gezähmte Widerspenstige“ mit Adriano Celentano und Ornella Muti. Und auch in „House of Gucci“ von Ridley Scott war die Villa zu sehen: Als Wohnsitz von Rodolfo Gucci, dargestellt von Jeremy Irons. Diese beiden Filme muss ich mir dann wohl auch noch ansehen…
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Die Villa Necchi Campiglio in der Via Mozart 14 ist von Mittwoch bis Sonntag geöffnet, jeweils von 10:00 bis 18:00 Uhr (letzter Einlass ist um 17:00 Uhr) und kann auch ohne eine Führung besichtigt werden. Der Eintritt kostet für Erwachsene 15 Euro, Tickets können auch vorab online gekauft werden.
Die Nachbarschaft der Villa Necchi Campiglio
Keineswegs sollte man die Straßen rund um die Villa nach deren Besuch fluchtartig verlassen; denn es lohnt sich hier noch ein bisschen herum zu spazieren angesichts der beeindruckenden und zum Teil fast ein wenig wie Trutzburgen anmutenden Wohnhäuser, die sich hier aneinanderreihen.
Pinke Innenhof-Bewohner:innen...
Einen Abstecher sollte man auch in die nahe Via Cappuccini machen, denn in der dort befindlichen Villa Invernizzi erspäht man mit ein bisschen Glück durch das große eiserne Eingangstor rosa Flamingos, die entspannt und elegant im Garten der Villa dahinstaksen. Einst gehörte die Art Nouveau-Villa der Familie Invernizzi, die ihr Vermögen mit der Herstellung von Milchprodukten machte. Heute ist sie der Hauptsitz der Invernizzi-Stiftung. Romeo und Enrica Invernizzi waren Philanthropen und sollen der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Stadt Mailand ein wichtiges Erbe hinterlassen haben. Die Flamingos, die in den 70er Jahren aus Afrika und Chile nach Mailand gebracht worden waren, sind ein Teil dieses Vermächtnisses. Jedes Mailänder Kind hat angeblich mindestens einmal in seinem Leben das Art-Decò-Viertel besucht, in dem sich die Villa befindet, und durch das Gartentor hindurch die Flamingos bewundert. Übrigens, diese lassen sich absolut nicht stören und machen elegant weiter mit dem, was sie gerade tun. Schließlich sind sie Mailänder:innen... (Villa Invernizzi Via Cappuccini, 3)
Mehr Mailand-Tipps gibt es in diesem Blog-Beitrag (Teil 1 des dreiteiligen Mailand-Blog-Beitrags).
Gut essen und trinken in Mailand? Das sind meine persönlichen Empfehlungen...
Und auch in Sachen Übernachtung gibt es einen Tipp: Nämlich das Hotel Savona 18 Suites.